Als Frau hieß er Anke

Samstag, Dezember 30, 2006

Leute, Leute

Der Scheitel bretthart und messerscharf gezogen, bis in die Kopfhaut eingemeißelt. Kein Haar steht schief im Wind, keine Strähne bewegt sich beim Biss in die Wurst, die beinahe bis zum Anschlag in den Schlund geschoben wird, als wolle er sich als Hommage an seine Gesamterscheinung direkt vor dem weihnachtlichen Würstchenstand auf die festliche Tischdecke des Stehbiertisches erbrechen.
Die Jacke grün und in Karos abgesteppt, der Kragen dunkelbraun und in Kord gehalten, die Schuhe ledern, ebenso wie die eckigen Schnürsenkel, die akkurat – ach was sag ich – akkuratest gebunden, die Uniformtreter an den Füßen halten.
Sein Kollege hat das Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen, als wolle er seinen nicht minder heftig gescheitelten Kopf vom Hals abquetschen. Er trägt eine runde silberne Nickelbrille und das gleiche uniforme Outfit.
Mir drängt sich das Bild vom Stock im Arsch auf – und das nicht, weil die beim Würstchenschieben nicht tanzen.
Bestimmt wurden schlagende Verbindungen erfunden, damit solcherlei Typen sich selbst in die Visage schlagen. Ein Akt sozialer Verantwortung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung.
Chapeaux, das nenn‘ ich mitgedacht.

Wo die Messergescheitelten den Stock im Hintern tragen, da haben die Hippster ein Gummiband und die Pseudohippster immer noch den Stock, zumindest jedoch den Gummiknüppel.
Die Hippster machen ‘was mit Medien und wissen gar nicht wohin mit all der Kreativität, die in ihnen brodelt. Am liebsten würden sie die Welt pink anmalen und sich Leuchtbanner in die Stirn einpflanzen lassen, auf denen dann die neuesten und trendigsten Modewörter entlangflackern können.
Tja und die Pseudohippster, die wären auch gern hip, haben den Stock im Hintern aber noch nicht gefunden. Das Haupt blank mit schicker Hornbrille aus Fensterglas, der frierende Hals gewärmt vom punkigen Schal – Karstadt 5,90€ oder Kaufhof 4,85€.
Die Hippster tragen Leuchtreklame, die Pseudos Brett vorm Kopf. Augen zu und durch, eine meckernde Attitüde aufgesetzt und über das brutalst mögliche Kreativoutfit den Mantel der Coolness von Robert de Niro oder James Dean gelegt. Dabei allerdings die Hose zu eng gekauft und die Schuhe zu groß – also ruhig weiter so, Augen zu und durch, vielleicht sieht es ja keiner.

Nicht gesehen zu werden dürfte wohl der Alptraum jener Spezies sein, die, leuchtend rosa bekleidet, rein Äußerlich den würgenden Verbindungsscheiteln vom Würstchenstand am nächsten steht. Ein gravierender Unterschied trennt sie jedoch voneinander: Die rosa Behemdeten schlagen sich nicht gegenseitig, sondern den Kragen hoch. Zwei am besten oder gar drei, wenn es geht.
Von rosa ist der Schritt zu babyhimmelblau eigentlich nicht mehr weit. Babyhimmelblau findet man deshalb auch bei der Rosa-Crew, meist jedoch als feinst gearbeitetes Strickpullöverchen um die Schultern gelegt und nicht als Frottebeinkleid mit Platz für mindestens drei Mitbewohner.
Die passenden Modelle für derlei modische Extravaganz tragen gerne Socke oder wahlweise auch Strumpfhose auf dem Haupt und verdecken selbige obendrein mit einer handelsüblichen Schildmütze.
Schschschschildmütze ist überhaupt ein gutes Charakteristikum, denn was sie als Bildsprache darstellen prägt auch die verbale Artikulationskust und so wird ge-schsch-t, was das Zeug hält. Die schschschicke Schschschildmütze (alda ey), schschschickt nämlich total.
Diagnose: zu viel Schschschatten führt mitunter zur schschscheinbaren Unterbelichtung.

Die Aprikose älteren Jahrganges, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihren Nerz Gassi führt, versteht wohl weder die Schschschprache, noch hat sie Verständnis für das Outfit. Frau von Vorgestern mit Hang zum Heute verzichtet auf Faltencremes und überdeckt die Fältchen um den Mund einfach mit einer zusätzlichen Lage Lippenstift. Das Champagnerrosa oder Jaderot leuchtet dann zwar von Wangenknochen bis Wangenknochen – aber rund um den goldbemäntelten Schlund sind dann immerhin keine Falten mehr zu sehen.
Wo das mit den Mundfalten so gut funktioniert hat, wird einfach auch der Rest der brüchig gewordenen Fassade neu übermalt und mit diversen Schichten grundiert, glatt geschliffen und fest betoniert.
Der Nerz um die Schultern bedeckt die Halslappen, die über die Jahre wie die Lefzen einer stattlichen Dogge ihren angestammten Platz unter dem Kinn verlassen haben. Am oberen Rand des ehemaligen Nagetiers nagt nun der stark ätzende Lack, der den holden Bäckchen der älteren Dame von Welt einen glamourösen Touch verleihen sollte.
Die Schmeißfliegen und Insekten, die das Gedärm des toten Nagers normalerweise heimsuchen würden, hält Frau von Welt mit einer brachialen Dosis süßlichen Kampfstoffes fern und nimmt dabei Kollateralschäden unter ihren menschlichen Artgenossen billigend in Kauf.

Leute, Leute.

Den steifen hornbebrillten Pseudohippster mit der Meckerattitüde könnte man vielleicht mit der frisch betonierten Nagertante zusammenbringen. Er würde sie für Ihren stark akzentuierten Duft kritisieren und dafür von der verknöcherten Alten einen Korb bekommen. Aus Mitleid zeigt sie ihm danach noch seinen Stock im Arsch, den er so lange einfach nicht finden konnte – sie ist schließlich Frau von Welt und da gebietet sich ein Mindestmaß an Höflichkeit.
Den babyblauen Typ und den hippen mit der Leuchtschrift auf der Stirn würde ich gerne zu den Verbindungsstöcken auf den weihnachtlichen Biertisch setzen.
Eine schöne Vorstellung, wie der kreativ inhaltsleere Designerpunk dem messergescheitelten Verbindungsheinz eine moderne Out-Of-Bed-Frisur schmackhaft machen will.
Während dessen der junge Typ mit dem unkonventionellen babyblauen Beinkleid auf dem Biertisch sitzend dem Nickelbebrillten seine Breakermoves vorführt, ihm dabei die Beine um den Hals legt und gar nicht bemerkt, wie dieser hochrot anläuft und vom Tisch wegkippt – er ist allergisch gegen Frotteefusseln.