Als Frau hieß er Anke

Sonntag, März 18, 2007

Letzte Runde

Das Stimmengewirr dringt schon durch die geschlossene Tür heraus auf die Straße. Es ist eine wettergegerbte Holztür, einladend und ein bisschen knorrig.
Kaum drückt man die Klinke nach unten, so schwillt das Gewirr an und die Kneipe vereinnahmt, verschluckt den Ankömmling. Rauchschwaden wabern unter den dämmrigen Lampen an der Decke. „Kissed a girl by the factory wall...“, die Dubliners aus den Boxen übertönen die Gespräche gerade so, „... dirty old town.“



Hinten an der Wand steht die große hölzerne Theke. „Dreamed a dream by the old canal...“. Uralte Holzbalken biegen sich darüber, geschmückt mit unzähligen, über die Jahre gesammelten Kleinoden. Viele schon fast bis zur Unkenntlichkeit vergilbt, zeugen sie von einer anderen Zeit, erzählen kleine und große Geschichten, bewahren Erinnerungen, die hier schon oft bei dem ein oder anderen Whiskey besprochen wurden. „... dirty old town.“
An der Theke sitzt der Typ aus dem Stadion und erzählt von seinen berüchtigten Bananenflanken. Scharf vors Tor müssten sie kommen, durchgehen zur Grundlinie und dann ‘rein, in der Mitte müsse dann nur noch einer den Kopf hinhalten.
Er spielt schon lange nicht mehr. Grüßend hebt er sein Glas.

Der Kellner läuft zu dem Tisch vor dem kleinen Mauervorsprung. Eigentlich ist er hier der Barkeeper aber besonderen Gästen bringt er das frisch gezapfte Dunkle schonmal selbst an den Platz. Der Kerl mit dem Anzug kommt oft her. Die Krawatte ist gelockert und hängt ein wenig schief über das leicht zerknitterte Hemd. Er mag die Menschen hier, und er mag, dass hier keiner Rosa trägt. Den ganzen Tag über sieht er rosa Hemden, rosa Krawatten, rosa Krägen und findet sie furchtbar! Er muss dann immer lächeln, ‚kann man doch einfärben‘, hieß es früher immer: ‚Pulli zu grau? Macht doch nix, kann man doch einfärben.‘ Auch er hebt sein Glas und winkt herüber.

„Wie immer?“ Man kennt sich immernoch. Ich muss lächeln, kein Bockbier, kein Whiskey, das wird entweder nicht vertragen oder nicht gemocht. „Ja, wie immer. Ein Weizen, ein Pils und ein Dunkles, bitte.“
In der Ecke vorne an dem winzigen Fenster sitzen die anderen. Einer kommt später noch. Wir fangen schon an, der Fehlende braucht immer ein wenig Vorlaufzeit, das kann also dauern. Er wollte nachkommen.
Der Blick schweift über die Gaststube und ich habe das Gefühl, jede Kerbe im Holz zu kennen. „Prost Jungs!“ Ein tiefer Schluck, eine tiefe Zufriedenheit. Lichter flammen auf und bald steht auch bei uns eine dichte Rauchwolke unter der schummrigen Lampe. Man könnte ewig so hier sitzen.

Bis tief in die Nacht genießen wir die Zeit und die Biere. Die Wolke um die Lampe hat sich zum Nebel ausgeweitet aber das stört überhaupt nicht, im Gegenteil, das gehört einfach dazu. Es ist spät geworden und nur der engste Kreis ist noch da.



I must away now, I can no longer tarry..“, die Musik muss jetzt kein Stimmengewirr mehr übertönen, „..This morning's tempest I have to cross.“
Zum Ausklang das Bühnenvermächtnis, wie passend. In Gedenken an Luke Kelly, Prost. Er hätte gut hier her gepasst, auf die kleine Erhöhung auf der anderen Seite, die als notdürftige Bühne dient. „I must be guided without a stumble.. “, still heben die verbliebenen Gäste die Gläser, „..Into the arms I love the most“. Das waren seine letzten Worte auf der Bühne. Das war sein letzter Song.

Es regnet immernoch leicht. Es fröstelt und so ziehe ich den Schal ein wenig enger. Ich schließe die uralte, knorrige Holztüre. Wäre mein Schal aus Holz, auch er wäre inzwischen knorrig. Viele Jahre alt und fürsorglich gestrickt, damit der Junge auf dem blauen Fahrradsitz, hinten auf dem Gepäckträger des rotbraunen Hollandrades, nicht fror.
Blauer Schal, rote Daunenjacke, so ging es damals auch zum Kastanien sammeln – oder Nüsse.
Unwillkürlich muss ich lächeln, ziehe den Schal enger und den Kragen meiner Jacke hoch. Der Regen hat nachgelassen, aber noch immer verschlucken die nassen Straßen die wenigen Lichter. Ich bleibe noch einen Moment unter dem kleinen Dach über der Eingangstüre stehen und schaue in die Nacht.
Bestimmt vier Jahre lang kam ich ständig her und nun bin ich schon lange nicht mehr hier gewesen. Mir ist vorhin beim Hineingehen gar nicht aufgefallen, dass das alte Namensschild aus Emaille mit dem verzierten „Chanma“ ganz windschief über der Tür hängt. Ein eigenartiger Name für ein Lokal eigentlich, komisch, dass ich mich nie wirklich darüber gewundert habe. Wenn man ganz genau hinsieht und ein wenig den Staub wegwischt, dann könnte es auch „Ch.an.ma.“ heißen, aber was macht das schon für einen Unterschied?

And into the river we'd dive..“. Durch das gekippte Fenster dringt Springsteen, das Klirren der Spühle und das kratzende Geräusch des alten Besens hinaus auf die Straße. „Letzte Runde“ und „Feierabend“ hieß es schon vor über einer Stunde, aber niemand käme hier auf die Idee, es zu genau zu nehmen. Man kennt sich, man mag sich. Man sitzt gern zusammen, auch nach der letzten Runde noch. „Oh down to the river we'd ride.“



Ich stecke die Hände in die Taschen, laufe durch den nieselnden Regen und summe, „Is a dream a lie if it don't come true...“. Ganz dort hinten sind ein paar wenige Löcher in die dicke, dunkle Wolkendecke gerissen, „...or is it something worse...“. Auf der Straße ist kein Mensch zu sehen. Keine Seele unterwegs, „...that sends me down to the river...“. Ich habe den Eindruck, als wäre es rund um die aufgerissene Wolkendecke heller als hier, dabei ist es tiefste Nacht, „...though I know the river is dry...“.
Eine alte Zeitung weht über die Straße und bleibt an einem Laternenpfahl hängen.
Ich laufe durch die leergefegten Gassen hinunter zur Brücke, die den Fluß überspannt. Es ist eine alte stählerne Konstruktion, bestimmt fünfundsiebzig Meter hoch und mit schönen, geschwungenen Bögen.
„...that sends me down to the river tonight“, summe ich und laufe am Geländer entlang ins Dunkel.

Montag, Februar 26, 2007

Hart vorbeigeschrammt und doch im Kern gelandet


Puuh, das wäre geschafft. Out Of Beta, into the light, um es mal mit einem Schuss Pop-Art Philosophie auszudrücken und zu würzen.

Das war aber auch eine diffizile Angelegenheit. Da begibt man sich als engagierter Mensch im Social-Network, dem allseits gepriesenen Web 2.0, auf eine mehr als lange Reise und möchte den treuen Lesern an der Front, die sich Heimat nennt, mit ein paar spannenden Einblicken ins Tagwerk eines Rucksacktouristen, ouuh falsch, veraltete, hoch uninternationale Ausdrucksweise, gemeint war natürlich Backpacker, die harten Stunden in des Winters Kälte versüßen und dann geht das nicht.

Loggen sie sich hier ein, ihr Passwort bitte, eigentlich alles normal. Aber irgendwo hat der Weltkonzern für virtuelles Klugscheißen hier was verbockt. Webseiten kennen, die die komplette usbekische Riege verarmten Landadels seit Olympia 1896 detailliert aufstellt oder sich um die Verwirklichung der Pläne der Radikalen Pro-Landstraßenfraktion Brüstlitz-Schwarzenroda und zurück schert.

Das können die. Wissen soweit das Auge reicht und das oftmals vielleicht gar keiner haben wollte. Alles on demand versteht sich. Aber ein hochbanaler Log-In funktionierte mehrere Wochen lang noch weniger als eine Große Koalition.

Was habe ich mir Gedanken gemacht. Bin ich zu Blöd? Die Tastatur im fremden Land zu amerikanisch und verweigert mir aus Terror-Angst den Zugang? Hat mir jemand den Matrix-Stöpsel rausgezogen und meine virtuelle Idendität läuft ab? Hat Lee Harvey Oswald allein gehandelt? Was zum Teufel heißt Energieanlagenelektronikermeister auf Spanisch?

Das wars dann mit dem schönen Reisebericht, er wurde gefangen zwischen Weltfragen. Bin ich ein alter oder ein neuer Blogger? Schwere Bürde. Meinen die jetzt wie ich mich fühle oder was mein Antlitz dazu sagt? Oder was in meiner Geburtsurkunde steht? Schöner Mist, immer diese Eitelkeits-Zwiespalterei.

An einem Montag hat es dann aufgehört. Ich genoß gerade ein kleines Botox-Spritzchen gegen Axelschweiß, wie das heuer Trend auf großen Filmnächten geworden war, als es mich vor Überraschung gen ärmlicher Kassenpatient schleuderte.
Es hatte funktioniert, ich war wieder drin, wieder akzeptiert, kreditwürdig und schreibgenehmigt gegenüber dem Übermächtigen Milliardenmann mit dem Doppel-O im Namen. Unten wird die Uhrzeit dieser imperialistischen Sensation eingeblendet sein.

Anhand des massiven Anfalls grauer Haare in meinem Blickfeld ist mir eines jetzt allerdings ganz gewiß: Ja, loggen Sie mich bitte bei alter Blogger ein!

Sonntag, Februar 18, 2007

so, erstmal die kleine musikalische Untermalung.....




....und dann ab dafür



Verdammte Pracht

Am Anfang geht es durch ein moosbewachsenen Eichenwäldchen. Die Stämme sind knorrig, die Bäume alt und das weiche Grün verwischt die kantigen Konturen zum weichen Ganzen. Es bedeckt den Waldboden, scheint nur vor den uralten Stämmen der greisen Bäume zurückzuweichen und zeigt ein so heimeliges, unschuldiges Antlitz, als verkörpere es selbst den gründlichsten Begriff von Natur. Niemand würde an die Überlebenskämpfe denken, die eine schier unendliche Zahl von Pflänzchen hier täglich verlieren, die das Streben nach Licht, Luft und Sonne mit dem Leben bezahlen und an der undurchdringlichen, alles bedeckenden Mooslandschaft scheitern.
Die Natur hat hier das Gesetz des Stärkeren geschaffen und ihm das Gesicht des Guten gegeben, den Schein von Reinheit und Schönheit, anschmiegsam und einladend trägt es den eigenen Kampf im Verborgenen aus und scheint etwas größerem verschrieben.

Die Sonne schickt messerscharfe Strahlen durch die dichten Baumkronen und erst knapp über dem Boden werden sie entschärft und verschwimmen zu einem warmen Lichthauch.
Folgt man dem schmalen Pfad aus dem Wäldchen hinaus, so tritt man in eine gänzlich andere Umgebung. Die klare Schärfe, das anheimelnd Gemütliche, das Knorrige weicht einem wilden Durcheinander von Gräsern und winzigen Bäumchen, die nicht zu wissen scheinen, ob sie nun Baum oder Strauch sind. Grüne Farne und gelbliche Halme biegen sich im Wind und hängen über den Weg. Der Hang liegt nun direkt unter der Sonne und es scheint, als hätte jemand all jenen Lebensgeistern Raum bieten wollen, die den aussichtslosen Kampf im aufgeräumten Eichenhain verlieren mussten. An den Zugängen durch die alten Eichen begrenzt und weiter oben am Hang eingerahmt von weitläufigen Wäldern scheint diese Gegend tatsächlich irgendwie zugeteilt, von einem Schiedsrichter zugesprochen, ein Minderheitsrecht als Ausnahme vom Wettstreit – ein Unentschieden der Natur in gewisser Weise.

Hier scheint jeder seinen Platz zu haben, wobei niemals ganz klar ist, ob es nun sein eigener ist oder eher ein beliebiger Platz auf diesem weiten Feld, zufällig ausgewählt und austauschbar.
Mindestens eine jedoch kann einfach nicht zufällig hier stehen. Sie steht seit Jahren hier an ein und dem selben Flecken Erde, irgendwie fest im Boden verwurzelt scheinbar und das Sein doch gänzlich gen Himmel ausgerichtet, die rote Blüte immer dem Lauf der Sonne entgegengestreckt.
Manchmal möchte ich sie ausreißen und nachsehen, welche mächtige Wurzel wohl in der Lage sein mag, eine solch zierliche Pflanze so standhaft zu machen. Ich würde sie am Hals packen und aus der Erde zerren – und ich glaube, sie würde mich in ihrem Sterben noch verhöhnen, die letzten Tropfen aus ihren Adern ziehen und mir mit ihren lächerlich dünnen Würzelchen, eher Haare als Wurzeln, vor Augen führen wie absurd meine Vorstellung gewesen wäre.
So stehe ich statt dessen zwischen den mannshohen Gräsern und bin fasziniert. Zierlich, verletzlich und doch viel stärker als meine geballte Faust, die sich, jeglicher Kraft beraubt, unwillkürlich öffnet.
Während ich weiter den Pfad entlang schlendere, geht mir diese rote Blüte nicht aus dem Kopf, irgendwie ist es, als verharre der Moment, während ich einen Fuß vor den anderen setze.

Obwohl schon eiskalter Frost den Boden steinhart gefroren hat, scheint es deshalb immernoch der gleiche Moment zu sein, als ich in einer anderen Zeit wieder diesen Flecken betrete.
Die roten Blätter sind weg, das Grün ist einem grauen Winterkleid gewichen. Ich umrunde das Pflänzchen, das mir so zentral erscheint auf diesem doch offenbar willkürlich zusammengewachsenen Feld. Dieses Mal will sich meine Faust nicht bahnbrechen, obwohl ich glaube, dass da dieses Mal nichts wäre, das sie zur geöffneten Hand machen würde.
Man möchte meinen, dass die Kraft noch immer aus der Faust gefahren ist, in der Sommerblüte konserviert, die nun verschlossen und brach im Verborgenen liegt. Als wäre es allein die rote Blüte, die die Faust zu ballen vermag, um ihr sogleich die Spannung wieder zu entziehen.
Ich gehe weiter, folge dem schneebedeckten Pfad und in meinem Kopf blühen rote Blätter in der Sonne.

Ich frage mich, wie oft ich wohl schon hier entlang ging, den Wechsel zwischen mitunter bestürzender Verschlossenheit und faszinierender, allgegenwärtiger Pracht begangen habe. Die Beständigkeit und Zuverlässigkeit, mit der die Blüte wiederkehrt, scheint Ordnung in das ungezügelte Durcheinander zu bringen. Ein fortwährendes Unentschieden mit einem klaren Sieger, denn eigentlich gewinnt doch immer irgendwie das Grün und die Blüte.

Blinzelnd hebe ich die Hand vor die Augen, als ich das Eichenwäldchen betrete und ein winziger Lichtstrahl durch die dichten Kronen fällt. Die ersten Strahlen erwärmen das Moos, die Feuchtigkeit verdampft und es hat den Anschein, als streife es vergangene Spuren ab.
Der Pfad führt weiter den Hang entlang, ich trete aus dem Wäldchen hinaus auf das freie Feld. Grüne und gelbliche Farne säumen den Weg, in meinem Kopf blühen rote Blätter in der Sonne.
Tatsächlich jedoch reckt nur ein kahler Stiel seinen Stumpf scheinbar nutzlos in den Himmel. Der so vertraute Weg erscheint mir plötzlich staubig. Die Hand ballt sich zur Faust und es ist heuer nicht die Faszination, die sie mir entreißt, sondern die blinde Wut, die sie steuert. Nichts öffnet die Faust unwillkürlich und trotzdem fehlt ihr jede Kraft, dieses verdammte Durcheinander schillernder Blätter, wiegender Farne und rauschender Gräser aus der Erde zu reißen und ihm ein Ende zu bereiten. Gelähmt vor Wut und mit roten Blüten im Kopf.
Ich verlasse den Weg, hetze zwischen den Gräsern kreuz und quer um diesen so vertrauten Flecken herum. Achtlos trete ich durch die Halme, wische Farne beiseite und knicke sie ab.
War womöglich der Platz, den ich so häufig besuchte, tatsächlich immer ein anderer? Ausgesucht vom Wind, der die Samen über das Feld verstreute, während es mir vorkam, als befruchte sich das zierliche und doch übermächtige Pflänzchen immer selbst? Die verschiedenen Orte nur zusammengehalten und mir so vertraut wegen der Blütenpracht, die jeden einzelnen so zentral erscheinen ließ?
Dann jedoch muss ich sie finden, denn ich fand sie doch immer, zielsicher angezogen von ihrer Faszination.
So trete ich hektisch weiter abseits des Pfades durch die Gräser, knackend brechen dünne Halme unter meinen Schuhen und ich ziehe Runde um Runde durch das Feld, doch da blüht nichts. Nichts ist zu spüren, von diesem magischen Moment, das mich ehemals so sicher an den rechten Ort führte.
Ich trete auf den steinigen Pfad zurück, gebrochen zeugen Halme und Gräser von meiner verzweifelten Suche im Feld. Beim Blick über die Schulter liegt ein Platz brach und trostlos, der doch immer der natürlich zentrale Punkt dieses wilden Durcheinanders zu sein schien. In der Mitte steht der kahle Stiel und reckt seinen Stumpf gen Himmel.
Gebrochene Halme, zertretene Gräser und geknickte Farne liegen am Boden und verwischen zu einer Einheitsfarbe.
So treten sie hinter den schimmernden Farbtupfer zurück, der dazwischen hervorscheint. Aus der Einheitsfarbe sticht, scheinbar unübersehbar, eine Blume mit gesundem Stiel und schöner Blüte heraus, die jedoch mit ihren zarten Blättern so gar nicht gen Himmel strebt und sogar ihre leuchtenden Blüten schon zu verlieren scheint – zertreten liegt sie am Boden.

In meinem Kopf blühen rote Blätter in der Sonne, war doch jeher die Wiederkehr der Blüte das Beständige in diesem Durcheinander.
Oder war die Wiederkehr tatsächlich eine Erneuerung und somit das Neue die eigentlich beständige Note in diesem Konzert der höchsten Töne?

Montag, Februar 12, 2007

(banksy)
Augen auf in alle Richtungen - und auch mal einen Blick von der Seite wagen.

Sonntag, Januar 28, 2007

Arg kalt

Schon beim ersten Schritt aus dem Haus fährt die beissende Kälte durch alle Nähte. Ein eisiger Windhauch kriecht durch sämtliche Schichten.
Mehrschichtiges Kleidungssystem, Zwiebelprinzip – es bringt nichts, sagt es Euren Müttern! Ich glaube kaum, dass ich mit einem Kartoffel-, Tomatensystem oder sonst irgendeinem Gemüseprinzip weniger frieren würde, aber danke trotzdem für den Tip.

Schnell ins Auto. Beim Einsteigen weht ein erschreckend kalter Luftzug den Schal von der Schulter. Der prüfende Blick, der Blick über die Schulter gerät zum Blick zurück. Nein, der Schal, er ist noch da.
Es fröstelt, der Wind weht lautlos ein Blatt durch die Luft. Lautlos, irgendwie unheimlich, selten gibt es ein intensiveres Grau. Vor dem inneren Auge fällt das Blatt auf den Boden, gar nicht lautlos, nicht belanglos - nein, mit einem schrillen Klirren zerschellt das gefrorene Blatt auf dem Pflaster.
Ein Lieferwagen rumpelt heran und ich beeile mich beim Einsteigen.
Das Blatt weht noch immer über die Straße.

Es ist arg kalt, auch im Auto noch, die Heizung wird nicht warm. Eisige Kälte versperrt dem wärmenden Lufthauch den Weg durch die Leitungen, schließt den Durchgang martialisch ab. Bitterkalt.
Die Hände zittern am Lenkrad, der kalte Motor läuft unruhig. Nichts läd zum verweilen ein. Menschen auf der Straße hasten gen warme Stube oder bewegen sich vermummt und in Zeitlupe durch die Gassen.
Der Typ auf dem Supermarktparkplatz hat scheinbar keine warme Stube, er lehnt mit den Obdachlosenzeitungen im Arm an den Einkaufswägen.
Eine mittelalte Dame eilt mit einem Blick an ihm vorbei, als fürchte sie, der arme Mann könnte ihr gleich die frisch erworbene Gemüsepfanne von BioBio aus dem Wagen rauben.
Mit einem leichten Pfeifen weht irgendwo wieder dieser eiskalte Hauch zwischen dem Meer geparkter Autos hindurch. Das Pfeifen wird lauter, der Hauch wird zum Wind, schwillt an zum Sturm und weht mir abermals den Schal von der Schulter, als hätte er sich gezielt den Weg über den Parkplatz gebahnt, um mich mit kalter Hand zu packen. Es fröstelt.
An die Einkaufswägen gelehnt schaut mich der Mann an, murmelt leise einen Gruß in den Wind. Ich grüße zurück und nehme meinen Euro aus dem Wagen.
Als wolle er die Szene unterstreichen, bläst der Schlot des Müllheizkraftwerkes dicke graue Wolken in die Kälte. Altes wird beseitigt, verbrannt, die Asche betont das Grau – von der Wärme ist hier auf dem Parkplatz nichts zu spüren.

Ich steige ins Auto, es ist schon wieder kalt oder immernoch. Immernoch lehnt auch der Mann an den Einkaufswägen, die Obdachlosenzeitung im Arm.
Auf dem Parkplatz sind kleine Bäumchen zwischen die Pflastersteine gepflanzt. Sie scheinen sich gegen die betonierte Kraft zu stemmen und zaghaft ihren Platz zu behaupten.
Ein Blatt wird durch die Luft geweht. Lautlos vom Wind getragen und zugleich fallen gelassen.

Der Motor springt an, er läuft jetzt schon runder als vorhin und auch die Heizung wird nun schneller warm.
Im Augenwinkel erscheinen die kleinen Erdflecken um die Stämmchen der Bäume wie Risse im Beton, aufgesprengt von unbändiger Kraft und doch nur gerade groß genug, um ihren Lebenswillen hindurchzuzwängen.
Beim nächsten Mal werde ich genauer schauen, ob sie sich ihren Platz vielleicht gar nicht so zaghaft behaupten, wie ich zunächst annahm.

Ich hätte ihm auch eine Zeitung abkaufen sollen.
Beim nächsten Mal werde ich ihm auf jeden Fall eine Zeitung abkaufen!








Das war seitenweise seiten weise und zum Schluß möchte ich den geneigten Leser noch zur Lektüre des folgenden Beitrages meines geschätzten Kollegen einladen.
Ein kleiner Sidekick wird da zum Seitenhieb, denn manch modernem Miteinander fehlt mitunter die Kraft zum herzlichen Händedruck - lesen Sie selbst.

Freitag, Januar 26, 2007

Der Wei(ß)heit nächster Schuß


Soso, da ist er ja doch noch.
Dieser fiese Mob, schäbige Geselle und schleimige Schmarotzer. Lässt sich auf ewig lange Zeit nicht sehen, spricht mit niemandem, ruft nicht an und schickt einfach andere wackere Mitstreiter los, die seinen Platz ausfüllen sollen.

Was wäre es so schön, könnte man sich in diesen äußerst rasenden Zeiten, denen es an der Erhaltung liebgewonnener Traditionen scheinbar gar nicht gelegen ist, noch auf Aussagen und markige Worte verlassen.
Aber Umgangsformen und über Jahre, eigentlich für jeden klare, Regeln des zwischenmenschlichen Gesellschaftsspieles scheinen sich im Dickicht einer elektronischen Gesellschaft immer weiter zu verlieren.

Die schöne Floskel hier, das schmeichelhafte oder gar ironische Zwinkern im Augenwinkel, der gewählte, literarisch ambitioniert untermauerte Gruß zum Schluß, alles weg.
Was konnte man im geschriebenen Wort einst so schön sein Halbwissen einflechten.

Ouhh, ein Rilke Gedicht (das man sich gerade noch so aus der Schule behalten hatte) im liebevoll angerichteten Umschlag, mit der Einladung zur sonntäglichen Ausfahrt, mit dem hart zusammengesparten Moped, an die hübsche Bedienung im Eiscafé, die man schonmal auf der letzten Feier zaghaft ansprach. Schleimig OK. Aber ein bißchen überspitzt müssen wir ja sein, ist ja kein Illuminaten-Roman hier.

Der große Literat ward also geboren. Das war großes Kino, man mußte sich Gedanken machen, etwas überlegen, seinen eigenen Stil formen. Auch wenn es letztlich vielleicht zu einer dezent unkonsequenten Holprigkeit führte, dieses amüsant dilettantische machte es zum Schluß vielleicht aus.

Lange ist das noch nicht her, es ging nur rasend schnell vorbei. Durch den überall gegenwärtigen Funkraum schwirrende Kurznachrichten zwingen den Protagonisten dazu, sich auf sagenhafte 160 Zeichen zu begrenzen. Die elektronische Post bietet da mehr Raum, doch ehrlich: Wann erlebte man dort zuletzt in seinem Posteingang ein Schriftstück mit Groß- und Kleinschreibung oder gar klar zu definierendem Anfang und Ende?

Die Arbeitswelt macht es sich da noch einfacher, da werden nur noch Fakten hin und her über den glasfaserigen Äther geschleudert. Platz für Kleinig-, Nettigkeiten? Pah, es muß ja schnell und gewinnorientiert gearbeitet werden im Supply-Attach-Main-Store-Power-Holding Management einer Firma, die früher vielleicht einfach nur Lebensmittel verkauft hat.

So kann man zwischenmenschliche Verbindungen natürlich auch zerstören, es bedarf dazu keinen "Krieg des Terrors", wie im vergangenen Jahr Sacha Baron Cohen, alias "Borat", US-amerikanische Aktivitäten so schön polemisch provozierend taufte.

Natürlich ist der schnelleren und einfacheren Kommunikation ein gewisser praktikabler Sinn nicht abzusprechen, genutzt wird es natürlich gerne, wir schreiben ja auch unsere eigene, elektronische Kolummne hier.

Doch in die sich hier gerade zart einschleichende Romantik, möchte die reine Fakten-Nutzen-Orientiertheit nicht so recht passen.

Denn nun fällt er doch noch, von oben und schleicht sich so schön nonchalant ein.
Der Schnee.
So isser, irgendwie immer von oben herab. Diese Natur, einen schönen Freund haben wir uns da ausgesucht. Macht mir einfach meine schönen Planungen für einen Freibadbesuch im Januar kaputt.

Wenigstens ist er so schön nutzlos, dass er mir gerade richtig sympatisch wird.

Samstag, Dezember 30, 2006

Leute, Leute

Der Scheitel bretthart und messerscharf gezogen, bis in die Kopfhaut eingemeißelt. Kein Haar steht schief im Wind, keine Strähne bewegt sich beim Biss in die Wurst, die beinahe bis zum Anschlag in den Schlund geschoben wird, als wolle er sich als Hommage an seine Gesamterscheinung direkt vor dem weihnachtlichen Würstchenstand auf die festliche Tischdecke des Stehbiertisches erbrechen.
Die Jacke grün und in Karos abgesteppt, der Kragen dunkelbraun und in Kord gehalten, die Schuhe ledern, ebenso wie die eckigen Schnürsenkel, die akkurat – ach was sag ich – akkuratest gebunden, die Uniformtreter an den Füßen halten.
Sein Kollege hat das Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen, als wolle er seinen nicht minder heftig gescheitelten Kopf vom Hals abquetschen. Er trägt eine runde silberne Nickelbrille und das gleiche uniforme Outfit.
Mir drängt sich das Bild vom Stock im Arsch auf – und das nicht, weil die beim Würstchenschieben nicht tanzen.
Bestimmt wurden schlagende Verbindungen erfunden, damit solcherlei Typen sich selbst in die Visage schlagen. Ein Akt sozialer Verantwortung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung.
Chapeaux, das nenn‘ ich mitgedacht.

Wo die Messergescheitelten den Stock im Hintern tragen, da haben die Hippster ein Gummiband und die Pseudohippster immer noch den Stock, zumindest jedoch den Gummiknüppel.
Die Hippster machen ‘was mit Medien und wissen gar nicht wohin mit all der Kreativität, die in ihnen brodelt. Am liebsten würden sie die Welt pink anmalen und sich Leuchtbanner in die Stirn einpflanzen lassen, auf denen dann die neuesten und trendigsten Modewörter entlangflackern können.
Tja und die Pseudohippster, die wären auch gern hip, haben den Stock im Hintern aber noch nicht gefunden. Das Haupt blank mit schicker Hornbrille aus Fensterglas, der frierende Hals gewärmt vom punkigen Schal – Karstadt 5,90€ oder Kaufhof 4,85€.
Die Hippster tragen Leuchtreklame, die Pseudos Brett vorm Kopf. Augen zu und durch, eine meckernde Attitüde aufgesetzt und über das brutalst mögliche Kreativoutfit den Mantel der Coolness von Robert de Niro oder James Dean gelegt. Dabei allerdings die Hose zu eng gekauft und die Schuhe zu groß – also ruhig weiter so, Augen zu und durch, vielleicht sieht es ja keiner.

Nicht gesehen zu werden dürfte wohl der Alptraum jener Spezies sein, die, leuchtend rosa bekleidet, rein Äußerlich den würgenden Verbindungsscheiteln vom Würstchenstand am nächsten steht. Ein gravierender Unterschied trennt sie jedoch voneinander: Die rosa Behemdeten schlagen sich nicht gegenseitig, sondern den Kragen hoch. Zwei am besten oder gar drei, wenn es geht.
Von rosa ist der Schritt zu babyhimmelblau eigentlich nicht mehr weit. Babyhimmelblau findet man deshalb auch bei der Rosa-Crew, meist jedoch als feinst gearbeitetes Strickpullöverchen um die Schultern gelegt und nicht als Frottebeinkleid mit Platz für mindestens drei Mitbewohner.
Die passenden Modelle für derlei modische Extravaganz tragen gerne Socke oder wahlweise auch Strumpfhose auf dem Haupt und verdecken selbige obendrein mit einer handelsüblichen Schildmütze.
Schschschschildmütze ist überhaupt ein gutes Charakteristikum, denn was sie als Bildsprache darstellen prägt auch die verbale Artikulationskust und so wird ge-schsch-t, was das Zeug hält. Die schschschicke Schschschildmütze (alda ey), schschschickt nämlich total.
Diagnose: zu viel Schschschatten führt mitunter zur schschscheinbaren Unterbelichtung.

Die Aprikose älteren Jahrganges, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihren Nerz Gassi führt, versteht wohl weder die Schschschprache, noch hat sie Verständnis für das Outfit. Frau von Vorgestern mit Hang zum Heute verzichtet auf Faltencremes und überdeckt die Fältchen um den Mund einfach mit einer zusätzlichen Lage Lippenstift. Das Champagnerrosa oder Jaderot leuchtet dann zwar von Wangenknochen bis Wangenknochen – aber rund um den goldbemäntelten Schlund sind dann immerhin keine Falten mehr zu sehen.
Wo das mit den Mundfalten so gut funktioniert hat, wird einfach auch der Rest der brüchig gewordenen Fassade neu übermalt und mit diversen Schichten grundiert, glatt geschliffen und fest betoniert.
Der Nerz um die Schultern bedeckt die Halslappen, die über die Jahre wie die Lefzen einer stattlichen Dogge ihren angestammten Platz unter dem Kinn verlassen haben. Am oberen Rand des ehemaligen Nagetiers nagt nun der stark ätzende Lack, der den holden Bäckchen der älteren Dame von Welt einen glamourösen Touch verleihen sollte.
Die Schmeißfliegen und Insekten, die das Gedärm des toten Nagers normalerweise heimsuchen würden, hält Frau von Welt mit einer brachialen Dosis süßlichen Kampfstoffes fern und nimmt dabei Kollateralschäden unter ihren menschlichen Artgenossen billigend in Kauf.

Leute, Leute.

Den steifen hornbebrillten Pseudohippster mit der Meckerattitüde könnte man vielleicht mit der frisch betonierten Nagertante zusammenbringen. Er würde sie für Ihren stark akzentuierten Duft kritisieren und dafür von der verknöcherten Alten einen Korb bekommen. Aus Mitleid zeigt sie ihm danach noch seinen Stock im Arsch, den er so lange einfach nicht finden konnte – sie ist schließlich Frau von Welt und da gebietet sich ein Mindestmaß an Höflichkeit.
Den babyblauen Typ und den hippen mit der Leuchtschrift auf der Stirn würde ich gerne zu den Verbindungsstöcken auf den weihnachtlichen Biertisch setzen.
Eine schöne Vorstellung, wie der kreativ inhaltsleere Designerpunk dem messergescheitelten Verbindungsheinz eine moderne Out-Of-Bed-Frisur schmackhaft machen will.
Während dessen der junge Typ mit dem unkonventionellen babyblauen Beinkleid auf dem Biertisch sitzend dem Nickelbebrillten seine Breakermoves vorführt, ihm dabei die Beine um den Hals legt und gar nicht bemerkt, wie dieser hochrot anläuft und vom Tisch wegkippt – er ist allergisch gegen Frotteefusseln.