Als Frau hieß er Anke

Samstag, Oktober 07, 2006

Von nirgendwo nach kurz vor Schluss

Es kann dir eigentlich nix besseres passieren, als dich bei 'nem Spiel gegen Georgien in der achtzigsten Minute vor 40000 Leuten irgendwo an der gegnerischen Eckfahne völlig sinnlos auf die Fresse zu legen.....

Da stehst du weit länger als eine Stunde auf mittlerer Höhe an der äußersten Seite eines Fußballfeldes irgendwo im Osten der Republik und versuchst dich höflich im Hintergrund zu halten.
Bloss nicht in den Vordergrund drängen.
Dieses Getrete und Rumgebolze war dir schon immer ein Gräuel, diese Lederpillenliebe geht dir völlig ab und was eine Bananenflanke sein soll, ist dir bis heute schleierhaft.
Ein Stückchen weiter hinten steht noch so ein anderer Typ an der Seite - der darf heute zum ersten Mal mitspielen, wie hieß der noch gleich? So ein kleiner blonder Kerl, er hat sich nen Schnürsenkel um den Kopf gebunden...
Er könnte der kleine Bruder von dem Typ sein, der ganz hinten auf dem Feld steht - der hat auch blonde Haare aber keinen Schnürsenkel um den Kopf sondern einen Kaugummi im Mund... und gerade hat er einem anderen Spieler den Ball in den Rücken geschossen, der das gleiche Hemdchen trägt wie du.
Dein Hemdchen ist in Home-white gehalten, hat Raglanärmel, seitliche Mesh-Einsätze und Climacool-Fasern - was sind eigentlich Climacool-Fasern?
Das Hemdchen mit der Nummer sieben auf dem Rücken, das trägt der Schweini.
Jetzt rennt der gerade von der anderen Seite herüber, wedelt mit den Armen, brüllt irgendetwas und bolzt den Ball in Richtung des Fähnchens, das ein ganzes Stück weiter vorne im Wind weht.
Der Typ im Anzug hinter dir fuchtelt mit der Wasserflasche herum und deutet wild gestikulierend dem Ball hinterher.
Ansonsten passiert eigentlich nicht viel.
Auf der Tribüne siehst du einen, der gerade vier alkoholfreie Bier in Plastikbechern und fünf Bratwürste die Treppe herunterbalanciert - gerade quillt Senf und Ketchup aus dem einen Brötchen und breitet sich als großer Fleck auf seinem hellen Shirt aus, es hat auch Mesh-Einsätze.
Neben ihm deutet einer lachend auf eine Rindswurst und streicht sich die Krümmel aus dem Vollbart.
Was die ganzen Leute hier bloss machen, irgendwie hast du den Eindruck, dass die nicht hier sind, um einem Fußballspiel gegen Georgien zuzuschauen - warum sollte einer das auch wollen?!... zumindest jedenfalls sind sie sicherlich nicht hier, um dir zuzusehen - und das findest du auch gut so!
Dein linker Fuß ist eingeschlafen, seit mittlerweile neunundsiebzig Minuten stehst du nun hier am Rande des Geschehens auf einer Kreidelinie. Die Füße stecken in engen Lederschlappen mit jeweils sechs etwa fünf Millimeter breiten Noppen - kein Wunder, dass die Zehen da einschlafen. Kalt ist dir auch - du musst dich ein bisschen bewegen.
Du beginnst zu joggen, das Laufen hat dir schon immer mehr Spaß gemacht als dieses Ballgetrete, außerdem fuchtelt der Anzugtyp hinter dir immernoch mit der Wasserflasche - Mann, das nervt und raubt dir die Ruhe.
Du joggst also mal in die Richtung des Balles - irgendjemand muss das Ding ja sowieso wieder holen.
Der Typ mit den Würstchen und den Plastikbieren bleibt auf der Tribünentreppe stehen.
Der andere Kerl nimmt die Rindswurst aus dem Mund.
Sogar der Schweini schaut zu dir rüber.
Der Anzugtyp klatscht jetzt.
Gleich bist du an der Ecke mit der wehenden Fahne angekommen, an der auch die Pille entlangrollt... noch ein paar Schritte, leichte Übung für dich, das Laufen hat dir schon immer Spaß gemacht.... noch einen Schritt, du setzt die sechs Stollen des rechten Fußes auf den grünen Rasen, irgendwie findet der Latschen keinen Halt, du merkst wie du das Gleichgewicht verlierst, ruderst ein Wenig mit den Armen. Der Fuß rutscht immer weiter vom Rest deines Körpers weg, jeder Körperbeherrschung beraubt. Du taumelst, das helle Hemdchen nähert sich bedrohlich dem nassen grünen Rasen - wenn das mal wieder raus geht.
Im Fallen siehst du noch den Typ von vorhin auf der Tribüne: Er wirft die angebissene Rindswurst in deine Richtung, spuckt seinem Vordermann einige Bröckchen in den Nacken - war das jetzt Wurst oder Brötchen?
Den Blick wieder auf den Platz gerichtet, siehst du, wie der Lederball knapp vor deiner Nase entlangrollt und scheinbar in Zeitlupe die Kreidelinie überschreitet, deren Staub dir jetzt auch an der Backe klebt.
Du mochtest dieses Spiel noch nie.
Laufen hat dir schon immer viel mehr Spaß gemacht.
Die Begeisterung deines Vaters für Mannschaftsballsport in Meshtrikots mit Ripstickbündchen und Logosticks hast du früher schon nicht geteilt - du bist schon immer lieber einfach laufen gegangen als ins Stadion.
Du mochtest dieses Spiel noch nie, aber es ist ja zum Glück gleich zu Ende. Der Typ mit dem schwarzen Leibchen hat schon auf die Uhr gesehen - er ist der einzige, der eine Uhr trägt.
Noch zehn Minuten - es ist kurz vor Schluss, zum Glück!
Du mochtest dieses Spiel noch nie.

Es kann dir eigentlich nix besseres passieren, als dich bei 'nem Spiel gegen Georgien in der achtzigsten Minute vor 40000 Leuten irgendwo an der gegnerischen Eckfahne völlig sinnlos auf die Fresse zu legen.....